„Ach, eine Beschneidung wollen Sie für eine Tochter. An den Genitalien.“
„Ja, eine Beschneidung.“
Erst jetzt hat der Arzt verstanden, worum es überhaupt geht. Wir sind drauf und dran, die Mikros abzuschalten, weil wir damit rechnen, dass er sofort abwinkt. Aber nein, plötzlich sagt er ganz unvermittelt: „Hier in Wien ist das nicht leicht.“
Nun mischt sich die Sprechstundenhilfe ein: „Ist das nicht verboten?“
„Es ist nicht verboten, aber es ist auch nicht richtig erlaubt“, erwidert der Arzt. „Privat geht das. Da muss man schauen, was man machen kann.“ Und nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Ich selbst mache das nicht, aber ich kenne jemanden, einen anderen Arzt.“ Er dreht sich zur Sprechstundenhilfe: „Suchen Sie mir die Nummer von Dr. H. heraus.“
Dann wendet er sich wieder Eleonore zu. „In Österreich ist diese Operation ein Problem. Die mögen das hier nicht. Sie sagen, es ist nicht gut für die Frauen. Sie denken, es ist eine afrikanische Tradition. Ich habe schon Frauen aus Ägypten hier gehabt, die wollten das auch machen lassen. Ich habe sie auch weitergeschickt.“
Noch einmal mischt sich die Sprechstundenhilfe ein: „Aber ist das nicht verboten?“
Und der Arzt meint daraufhin ganz lapidar: „Ach, wenn man da nur ein bisschen was macht, geht das schon. Geben Sie ihr die Nummer.“
Eleonore nimmt den Zettel, bedankt sich und geht.
Noch einmal: Kein Entsetzen. Kein Versuch, Eleonore von ihrem Vorhaben abzubringen. Der Arzt, ein niedergelassener Gynäkologe in Wien, gibt ihr sogar die Adresse eines Kollegen weiter, und es ist nicht das erste Mal, dass er Frauen weiterschickt.
Eleonore ruft tags darauf bei Dr. H. an. Sie erklärt auch ihm ganz platt ihren „Wunsch“: „Meine Tochter heiratet. Ich will sie beschneiden lassen, nach der traditionellen Methode.“
Der Arzt stockt kurz. Dann sagt er: „Ich spreche darüber nicht am Telefon. Sie müssen zu mir kommen. Geben Sie mir eine Nummer, unter der ich Sie zurückrufen kann.“ Sein Ton ist recht barsch.
Eleonore gibt ihm ihre Handynummer, und nach einiger Zeit läutet das Telefon. Sie vereinbart einen Termin.
„Kommen gleich Sie mit ihrer Tochter“, fordert sie der Arzt auf.
„Wie viel Geld soll ich mitnehmen?“, fragt Eleonore noch schnell.
„Darüber spreche ich nicht am Telefon“, bekommt sie zur Antwort. Dann hängt der Arzt ein.
Eleonore führt anschließend noch ein paar weitere Telefonate, und die Ergebnisse sind viel positiver. „Das ist verboten! Geben Sie mir Ihren Namen, ich zeige Sie an!“, schimpft etwa ein bekannter plastischer Chirurg. Trotzdem keine sehr wirkungsvolle Reaktion, wenn es sich um einen tatsächlichen Fall handeln würde. Aber zumindest eine angemessene.
Einige Tage später sucht Eleonore besagten Dr. H. in seiner Praxis auf, die sich in einer Sozialbauwohnung in einem der ärmeren Viertel von Wien befindet. Sie nimmt eine „Tochter“ mit – ein neunzehnjähriges nigerianisches Mädchen, das gut und gerne für Siebzehn durchgeht. Im Behandlungszimmer muss die junge Frau stehen bleiben, nur Eleonore bekommt einen Stuhl angeboten. „Ich möchte meine Tochter beschneiden lassen“, beginnt Eleonore das Gespräch.
„Will sie das denn?“, fragt der Arzt, nachdem er verstanden hat, worum es geht.
„Ja“, antwortet Eleonore. „Es ist wegen einer Hochzeit.“
Ohne die „Tochter“ eines Blickes zu würdigen, fragt der Arzt weiter: „Wer ist der Mann? Warum will sie das haben? Ist sie noch Jungfrau?“ Und winkt schließlich ab: „Wir machen das nicht. Das ist nicht richtig.“ Aber anstatt Eleonore von ihrem Vorhaben abzubringen, rät er ihr: „Sie müssen in eine Klinik gehen. Man braucht dazu eine Narkose. Ohne Narkose kann man sie nicht beschneiden.“ Und schreibt ihr den Namen eines bekannten Wiener Krankenhauses auf einen Zettel. „Versuchen Sie es dort. Vielleicht machen sie es dort für Sie.“
Wir brechen unser Experiment an dieser Stelle ab. Wir haben genug gehört: Kaum ein Gynäkologe in Wien konnte angemessen auf unsere Anfrage reagieren. Einige halten es offensichtlich für legitim, ein minderjähriges Mädchen beschneiden zu lassen. Und die drei Ärzte, die Eleonore deswegen in der Praxis aufgesucht hat, würden einen solchen Eingriff zumindest nicht selbst machen – haben sie aber an andere verwiesen.
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